05.12.2022 2030 Agenda, Nachhaltige Entwicklungspfade, Transformation von Ariel Macaspac Hernandez Et al.

Die Macht von Geschichten – Warum brauchen wir neue Narrative für eine nachhaltige Zukunft – und wie können quantitative Analysen diese unterstützen?

Während die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung universell sind, sind die Wege, die zu ihnen führen, vielfältig. [...]

Während die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung universell sind, sind die Wege, die zu ihnen führen, vielfältig. Länder haben aufgrund ihrer unterschiedlichen biophysischen, sozio-ökonomischen und politisch-kulturellen Ausgangsbedingungen unterschiedliche Leitvorstellungen davon, wie die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) erreicht werden sollen, und sie verfügen über unterschiedliche Ansatzpunkte und Hebel hierfür. Nachhaltige Entwicklungspfade, die machbare und aus Sicht unterschiedlicher Akteure erstrebenswerte Wege zur Erreichung der Agenda 2030 und der Pariser Klimaziele beschreiben, müssen diese Faktoren und deren Vielfalt berücksichtigen. Es reicht daher nicht aus, nur eine einzige Pfadoption vorzuschlagen und deren potenzielle Wirkungen zu analysieren. Jeder dieser „nachhaltigen Entwicklungspfade“ erfordert zudem Transformationsprozesse, die einen disruptiven Paradigmenwechsel und einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel mit sich bringen. Es bedarf daher positiver, an unterschiedliche Gegebenheiten anknüpfende Leitvorstellungen (“Visionen”). Diese sind am ehesten in einer Kombination aus qualitativen Erzählungen oder Narrativen sowie darauf aufbauender, quantitativer Szenarien zu vermitteln. Analysen können dann die positiven Wechselwirkungen sowie mögliche Zielkonflikte zwischen den einzelnen SDGs und hierfür vorgesehenen Maßnahmen beschreiben und dazu beitragen, Synergien zu verstärken sowie wechselseitige Beeinträchtigungen oder Blockaden zu vermeiden oder zu minimieren.

Die Herausforderung, solche Nachhaltigen Entwicklungspfade (Sustainable Development Pathways – SDPs) zu identifizieren und zu beschreiben, greift das Projekt SHAPE (“Sustainable development pathways achieving Human well-being while safeguarding the climate And Planet Earth”) auf. Ein interdisdziplinäres Team von Wissenschaftler*innen entwickelt und analysiert derzeit neue, holistische Narrative und Szenarien, die Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels mit Strategien zur Erreichung der anderen Nachhaltigkeitsziele verbinden. Um Pfadoptionen zu identifizieren, die den genannten Anforderungen entsprechen, werden diese Mithilfe Integrated Assessment Models durchgerechnet und anschließend gemeinsam analysiert.

Wie wurden die Narrative entwickelt?

Die neuen Narrative für die Sustainable Development Pathways wurden von einem interdisziplinären Team, bestehend aus Modellierer*innen und Sozialwissenschaftler*innen und im engen Austausch mit einer Gruppe internationaler Stakeholder aus Praxis und Forschung, und somit in einem transdisziplinären Prozess, entwickelt. Die Narrative entstanden in drei Hauptschritten, die aufeinander folgten und aufeinander aufbauten:

1. Die Identifizierung von Themenbereichen („Dimensionen“), die für das Erreichen einer nachhaltigen Entwicklung relevant sind und die möglichst im Kontext von Integrated Assessment Modelling modelliert werden können;

2. Die Beschreibung alternativer Strategien für jede dieser Dimensionen;

3. Die Konstruktion und Beschreibung von umfassenden Erzählungen, die sich aus Kombinationen der verschiedenen Strategien ergeben (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Die Entstehung der Narrative

Abbildung 2: Die SHAPE-Narrative

Welche Stärken haben die neuen SDP Narrative und Szenarien?

Aufgrund der Methodik ihrer Entwicklung zeichnen sich die neuen Narrative und Szenarien durch folgende Aspekte aus:

  • Zielgerichtetheit (“target seeking”): Die Narrative sind auf die Erreichung der Ziele der Agenda 2030 einschließlich der Bewältigung des Klimawandels ausgerichtet und zielen darauf, unterschiedliche Lösungsvarianten zu identifizieren. Im Gegensatz zu explorativen Narrativen, die Beschreibungen von möglichen Variationen der Zukunft liefern, geben zielorientierte (target-seeking) Narrative Antworten auf die Frage nach wünschenswerten Zukünften. Sie erfassen Informationen sowohl über den gewünschten „Endpunkt“ der Entwicklung als auch über Wege, diesen Endpunkt unter den aktuellen Bedingungen zu erreichen (IPBES, 2016).

  • Ganzheitlichkeit: Die Narrative decken alle Dimensionen nachhaltiger Entwicklung ab, wenn auch in unterschiedlicher Breite und Detailgenauigkeit. Dies schließt auch unterschiedliche Governance-Ansätze (Hierarchien, Märkte, Netzwerke) ein. Sie bieten somit auch einen geeigneten Ansatz, um die für die Implementierung so wichtigen Fragen der Governance und Machtverhältnisse kritisch zu beleuchten. Mit der systematischen Analyse der Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Bereichen der Politikumsetzung (z. B. Klima, biologische Vielfalt, internationale Entwicklungszusammenarbeit usw.) können vorhandene Ansätze kritisch reflektiert und gegebenenfalls zielgerichtete Vorschläge für Anpassungen entwickelt werden (Dombrowsky et al., 2022; Hernandez, 2021)

  • Flexibilität: Der modulare Aufbau des Ansatzes (siehe letzter Abschnitt) mit seinen zahlreichen Dimensionen, für die wiederum mehrere Entwicklungsalternativen beschrieben werden, ermöglicht es zukünftigen Nutzer*innen, eigene nachhaltige Entwicklunspfade mitzugestalten, die ihre jeweiligen Paradigmen und Realitäten in ihrem Handlungsraum reflektieren.

  • Anknüpfung an laufende Diskurse in Praxis und Wissenschaft: Die Narrative und darauf aufbauenden Szenarien knüpfen an aktuelle Diskurse zur Nachhaltigkeitstransformation an und greifen eine Bandbreite an geäußerten, unterschiedlichen Perspektiven auf (z.B. Degrowth vs. Wachstumsorientierung). Da sie das Ergebnis eines langfristigen Kommunikationsprozesses zwischen Forschenden und Akteuren aus der Praxis sind, zeigt der Geneseprozess der SDPs somit auch, wie man Kommunikationsbarrieren zwischen normalerweise weitestgehend voneinander getrennten Diskurszusammenhängen aufweichen kann.

Fazit

Die Narrative für nachhaltige Entwicklungspfade (SDPs), die durch mit „Zahlen“ unterfütterte Szenarien quantifiziert werden, bieten einerseits positive Visionen für eine nachhaltige Zukunft und zeigen andererseits die Bedingungen, die erfüllt werden müssen, um diese Visionen zu erreichen. Sie sind damit eine wichtige Grundlage für eine dringend erforderliche gesellschaftliche Debatte, die die Agenda 2030 auf konkrete, dimensionen- und skalenübergreifende Handlungs- und Entwicklungsoptionen herunterbricht. Sie können damit den Diskurs um kohärente, wirksame und möglichst gesellschaftsverträgliche politische Maßnahmen unterstützen und voranbringen.

Die neuen Narrative sind positive Geschichten zur Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele, die helfen, das Gesamtbild von nachhaltiger Entwicklung zu sehen, während die modellbasierten, quantitativen Analysen dazu dienen, komplexe Wechselwirkungen und Synergien zwischen den betroffenen Systemen besser zu verstehen und damit die Konsequenzen der Entscheidung für die eine oder andere Pfadalternative besser abschätzen zu können. Die inter- und transdisziplinäre Erarbeitung der Narrative ermöglichte es außerdem, wissenschaftliche Ansätze und Erkenntnisse zu generieren, die näher an der komplexen Realität und damit für die Anwendung geeigneter und attraktiver sind.


Quellen:

Dombrowsky, I., Lenschow, A., Meergans, F., Schütze, N., Lukat, E., Stein, U., & Yousefi, A. (2022). Effects of policy and functional (in)coherence on coordination – A comparative analysis of cross-sectoral water management problems. Environment Science and Policy, 131, 118-127.

Hernandez, A. M. (2021). SDG-aligned Futures and the Governance of Transformation to Sustainability. Reconsidering Governance Perspectives on the Futures We Aspire to DIE Discussion Paper Series(Discussion Paper 30/2021). doi:10.23661/dp30.2021

IPBES. (2016). The methodological assessment report on scenarios and models of biodiversity and ecosystem services. Retrieved from Bonn, Germany.


Das Forschungsprojekt Projekt SHAPE (“Sustainable development pathways achieving Human well-being while safeguarding the climate And Planet Earth”) läuft noch bis Ende Juni 2023. Im Rahmen der virtuellen Abschlusskonferenz des Projektes am 16. Februar 2023 werden der Ansatz und die Ergebnisse des Projektes ausführlich vorgestellt und diskutiert.

SHAPE ist Teil von AXIS, einer von der JPI Climate initiierten ERA-NET Initiative. Es wird von FORMAS (SE), BMBWF/FFG (AT), DLR/BMBF (DE, Grant No. 01LS1907A-B-C), NWO (NL) und RCN (NO) und sowie einer Kofinanzierung durch die Europäische Union (Grant No. 776608) finanziert. Beteiligt sind Wissenschaftler*innen des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA), der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU), des Stockholm Resilience Centres (SRC) und der Universität Utrecht (UU).

Nähere Informationen zum Projekt unter https://shape-project.org/.

Der Autor / Die Autorin

Ariel Macaspac Hernandez

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDOS

Ariel Macaspac Hernandez ist Wissenschaftlicher Mitarbeit am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) sowie Privatdozent an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsinteressen sind Verhandlungsführung, Konfliktmanagement, Nachhaltigkeitsstandards, Due Diligence, Transformation zur Nachhaltigkeit, Energiesicherheit und Umwelt/Klimaschutz.

Der Autor / Die Autorin

Ines Dombrowsky

Programmleitung am IDOS
Der Autor / Die Autorin

Dorothee Keppler

Wissenschaftliche Koordinatorin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Dorothee Keppler arbeitet seit 2020 als wissenschaftliche Projektkoordinatorin des Forschungsbereiches III "Transformationspfade" am PIK. Schwerpunktmäßig ist sie in SHAPE und seinem Partnerprojekt CHIPS sowie im von der Tokyo University geförderten Projekt Global Commons Stewardship tätig. Zuvor arbeitete sie lange Jahre als Wissenschaftlerin und Projektleiterin an der TU Berlin, wo sie zuletzt die Forschungsgruppe Klima und Energie des Zentrum Technik und Gesellschaft leitete.

Der Autor / Die Autorin

Merle Remy

Projektleiterin am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS)

Merle Remy arbeitet seit 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und seit 2022 als Projektleiterin im Teilprojekt „Stakeholder Interaktion“ des Forschungsprojekts SHAPE. Zusammen mit dem Projektpartner Stockholm Resilience Centre organisiert sie den Multi-Stakeholder-Dialog zur ko-kreativen Entwicklung von "Sustainable Development Pathways".